Vor einiger Zeit nahm ich als „Neu-Rotelianer“ an einer Rundreise durch Italien mit Rotel Tours, dem Rollenden Hotel, teil und – was soll ich sagen – war restlos begeistert. Das Reisekonzept, die Mitreisenden, „meine“ Rotel-Schlafkabine – all das zog mich sofort in seinen Bann (so dass dies nicht meine letzte Gruppenreise mit dem feuerroten Gefährt gewesen sein sollte). Einige meiner Freunde jedoch konnten meine Vorlieben für diese Art des Reisens trotz meiner begeisterten Erzählungen einfach nicht nachvollziehen, was mich dazu veranlasste, den nun folgenden – frei nach dem Stilmittel der Hyperbel – hemmungslos ironisch überzeichneten (!) Bericht zu schreiben. Denn dies gilt es bei der Lektüre dieser Vergewaltigung des lateinischen Buchstabenkontingents (welche die Besonderheiten einer Rotel-Reise darzulegen versucht) zu beachten: Ich war von der kompletten Reise beeindruckt und mein großer Dank gilt dem gesamten Rotel-Team (Busfahrer, Reiseleiter, örtliche Führer, Mitarbeiter im Büro) für diese unvergessliche Erfahrung. Italien war ein einziger Traum, die Organisation und auch die Campingplätze (mit einer einzigen Ausnahme;-) und anders als es vielleicht im Folgenden zum Ausdruck kommt;-)) ohne Makel. Alle Namen sind geändert und Ähnlichkeiten mit noch aktiven oder sich bereits im Ruhestand befindlichen Rotel-Reisenden rein zufällig.
Besonderheit Nr. 1: Der Busfahrer
Die besondere Reiseform des „Rotels“ bedingt auch eine herausragende Funktion des Busfahrers: Nicht nur ist er dafür zuständig, unser Schlafgemach (den Rotelanhänger – das Rollende Hotel) samt einem Haufen Flöhe (die Reisegäste) sicher von A nach B zu bringen. Nein, auch was die Verpflegung in der Rotelküche betrifft, ist er der unangefochtene Chef de Cuisine… Unser Busfahrer, Robert, sah aus wie ein Armani-Model (zur Verzückung sämtlicher unserer weiblichen Reiseteilnehmerinnen zwischen 16 und 85 Jahren;-)) mit einer Fitness, dass es den Eindruck erweckte, er könne ohne mit der Wimper zu zucken den Mount Everest besteigen – und zwar in der Funktion eines Sherpas. Allem Anschein nach hatte er eine Klausel in seinem Vertrag, die ihn daran hinderte, in der gesamten Woche mehr als 40 Wörter zu sprechen. Dafür war er mit einer geradezu väterlichen Ruhe bereit, auch auf die 37. Frage eines Reisegastes das Luftdruckbremssystem des Busses zu erläutern und wurde niemals müde, als eine Art „Back-up-Guide“, seine „Schäfchen“ (= die Reisegäste), die sich während der Führungen auf „Abwege“ zu begeben drohten, wieder zur Herde zurückzuführen. Zudem war er mit einem entwaffnenden Lächeln gesegnet, dass wohl sogar dem ein oder anderen Schweizer Gardisten im Vatikan ein Zucken der Mundwinkel zu entlocken vermochte;-)…
Besonderheit Nr. 2: Der Rotelalltag mit dem Rollenden Hotel
Sobald das Rotel den nächtlichen Übernachtungsplatz erreicht hat, treten – und das ist vor allem für die Hobby-Anthropologen unter uns interessant – längst vergessene archaische Rollenmuster in Kraft: Männer, für die es im Büroalltag das höchste der Gefühle bedeutet, neue Klammern in den Tacker einzusetzen, werfen ihre zwei linken Hände in Arbeitshandschuhe und beginnen, beim Hantieren mit Zeltstangen ihre Manneskraft unter Beweis zu stellen (Ziel: Schlafgemach bezugfertig machen). Während unter Frauen, bei denen ich hätte schwören können, dass sie ein gerahmtes Foto von Alice Schwarzer im Wohnzimmer stehen haben und ohne zu zögern bereit wären, für die Einführung von Ampelfrauen zur Gleichberechtigung zu demonstrieren, ein Kampf um die wenigen Küchenmesser entbrennt und über das fachgerechte Schnitzen von Schwänen aus Radieschen gefachsimpelt wird als gelte es darüber zu promovieren (Ziel: Vorbereitung des 5-Sterne-Abendmenüs).
Besonderheit Nr. 3: Das Reiseziel
Allen, die schon immer einen Einblick erhalten wollten, wie sich Hannibals Soldaten bei ihrem Gewaltmarsch über die Alpen wohl gefühlt haben mochten, sei eine Reise nach Rom (um nur einen unserer zahlreichen Besichtigungshöhepunkte herauszugreifen) mit unserem duce Andrea empfohlen. Schon die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln (Touristenbusse dürfen im Stadtzentrum nur eingeschränkt verkehren) gewährt einen faszinierenden Einblick in vergangene Epochen oder wie es ein Reiseteilnehmer so treffend auszudrücken vermochte: „Also, an den S-Bahn-Waggons kann man den Rost auch schon mit der C14-Methode zurückdatieren.“. Hat man es einmal ins Stadtzentrum geschafft, kann man sich vor allem beim Besuch der Vatikanischen Museen nicht nur Überlebensstrategien für den täglichen Kampf um einen Stehplatz in der Münchner U-Bahn aneignen, sondern auch eine Kostprobe erhalten, wie sich wohl der jährliche Hadsch nach Mekka anfühlt;-) (oder wie es unser duce ausdrückte: „Sie fahren jetzt bitte die Ellbogen aus und bilden eine germanische Kampfeinheit, sonst kommen wir da nicht lebend raus…“).
Nein, im Ernst, Rom ist a Draum: Vor allem Kunstbanausen wie ich, die im Alltag schon am „Malen nach Zahlen“ ihrer Lokalzeitung an ihre Grenzen gelangen, sind reif für ein Sauerstoffzelt, wenn sie feststellen, dass sich in der Sixtinischen Kapelle nicht hier und da mal ein schnuckeliges Fresko im Deckenwinkel blicken lässt, sondern buchstäblich die GESAMTE Kapelle ein einziges Fresko darstellt…Dieser Michelangelo hatte es schon drauf, das muss man ihm lassen;-)…Ja, endlich Zeit angesichts dieses grandiosen Ausblicks in höheren Sphären zu schweben und sich der erhabenen Stille hinzugeben….Äh ja, dieses edle Vorhaben scheitert nicht nur an den etwa 2 Millionen weiteren Besuchern der Kapelle (samt deren Selfiesticks), sondern vor allem am in regelmäßigen Abständen mit gefühlt 100 Dezibel durch die Lautsprecher dringenden /schschschsch/ (eine Bekannte von mir arbeitet als Sprachheillehrerin und würde sich wünschen, in Übungsstunden mit Kindern, die diesen Laut noch nicht beherrschen, auch nur annähernd an diese Frequenz heranzukommen;-)). Nicht zu vergessen die ca. 50 Angehörigen des italienischen Militärs, die den Besuchern in Dauerschleife merklich genervt die Phrasen „no photo, no video“ in 278 verschiedenen Sprachen einschließlich der japanischen Gebärdensprache entgegenschleudern;-)…
Besonderheit Nr. 4: Die Campingplätze
Ja, Bella Italia hat schon viel an beeindruckenden Kunstschätzen zu bieten… Dass einige der örtlichen Campingplätze wohl in nächster Zeit nicht auf die Weltkulturerbeliste gesetzt werden, hat unterschiedliche Gründe, die hier nicht näher ausgeführt werden sollen;-)…Aber sobald man bereit ist, auf einige Errungenschaften der modernen Zivilisation (sagen wir, Klobrillen;-)) zu verzichten, kann man in jedem Fall viel Spaß haben… Nur eines wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben (und vielleicht frage ich hierzu nochmal beim Orakel von Delphi nach, sollte ich da mal wieder vorbeikommen oder besser –rollen;-)): Warum in Campingplatzduschen nur die Möglichkeit besteht, sich entweder Verbrennungen 3. Grades zuzuziehen oder bei einer akuten Unterkühlung den Verlust zweier Zehen zu riskieren…;-)…WARUM??
Besonderheit Nr. 5: Der Koffertag
Nur wenig, was ich in meinem Leben bisher sehen durfte, reichte so nahe an die kindliche Freude beim Auspacken der Weihnachtsgeschenke heran, wie die glänzenden Augen erwachsener (!) Rotelreisender beim Anblick ihres Gepäcks am sogenannten „Koffertag“. Da – anders als von der Band „Silbermond“ so radiotauglich besungen – heutzutage kein Mensch mehr mit „leichtem Gepäck“ reist, die Aufnahmekapazität einer Rotelschlafkabine im Rollenden Hotel aber begrenzt ist, ist es erforderlich, einen Teil seines Gepäcks in einer gesonderten Tasche unterzubringen, während man nur im 3-Tages-Rhythmus Zugang zum gesamten „Hausstand“ erhält. Schon beim Frühstück am „Koffertag“, diesem „Feiertag“ des Rotellebens, liegt eine besonders aufgekratzte Stimmung in der Luft – begleitet von regelmäßigem Wispern und Flüstern der Reiseteilnehmer, wobei für den aufmerksamen Zuhörer immer wieder das Wort „Koffer“ zu vernehmen ist. Kurz bevor die Spannung am Zerbersten ist, wird der Campinglatz erreicht und sofort jeder Quadratmillimeter Boden von den germanischen Truppen annektiert … Koffer werden geöffnet, es wird umgeräumt, geflucht, Kleidungsstücke fliegen durch die Gegend … bis dann doch wieder alles beim Alten ist und man feststellt, dass man das Unterhösle für den nächsten Tag dann doch im Koffer vergessen hat;-)…
Besonderheit Nr. 6: Die Rotelianer
Wie nicht anders zu erwarten, gehören Personen, welche sich für die oben genannte Reiseform entscheiden, einem besonderen Völkchen an (manche würden auch einfach sagen: sie sind nicht ganz dicht;-)) – unter Insidern „Rotelianer“ genannt. Verwöhnte Mitteleuropäer, die einmal den Luxus hinter sich lassen wollen, um herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält, werden…tja…es auf einer Rotel-Reise wohl auch nicht herausfinden, dafür aber definitiv um eine (grandiose) Erfahrung reicher!
Exemplarisch seien hier einige Archetypen vorgestellt, wie sie mir (so oder so ähnlich) auf der Italien-Reise begegneten und (wie ich aus sicherer Quelle erfuhr) auch auf anderen derartigen Reisen (mit ein wenig Phantasie;-)) immer wieder anzutreffen sind:
Archetyp 1: Der Zivi
Dieser Alt-68er fühlt sich beim Anblick älterer Damen in der Reisegruppe wieder in seine Jugend als Revoluzzer zurückversetzt und sieht sogleich seine Chance, ein paar positive Karma-Punkte zu sammeln, wenn es darum geht, genannte Frauen älteren Semesters die Spanische Treppe herunter zu geleiten. Auch wird er nicht müde, über die Problematik des Mikroplastiks im Pazifik zu dozieren und ist daher stets gewillt, Neu-Rotelianer in die umweltschonende Duschwassernutzung oder das platzsparende Packen der „3-Tages-Tasche“ einzuweisen.
Archetyp 2: Der Erfahrene
Dieses Rotel-Urgestein hat in seiner Schlafkoje schon jedes Fleckchen Erde vom Hindukusch bis zum südchinesischen Meer an sich vorbeiziehen sehen und wäre daher mehr als prädestiniert, endlich eine eigene Dokumentationsreihe bei „ZDF-Info“ zu erhalten. So versüßt er den Mitreisenden die Abendstunden mit detaillierten Anekdoten über die Übernachtung unter freiem Sahara-Sternenhimmel oder darüber, wie er eigenhändig eine Kobra in Indochina erlegt hat … Netter Nebeneffekt: Spätestens jetzt haben alle Mitreisenden die nötige „Kabinenschwere“ (an dieser Stelle einen herzlichen Dank an den Autoren Manfred Schmidt für diesen wunderbaren Begriff!) erreicht, um in ihre Schlafkojen zu kriechen;-)….
Archetyp 3: Die Naturverbunde
Für sie bedeutet es die größte Herausforderung, mit Einstieg in den Rotel-Bus auf ihre ökologisch wertvolle Vegannahrung zu verzichten. So sind von ihr regelmäßig hilfreiche Hinweise über ein Leben im Einklang mit den fünf Elementen zu erhalten. Auch ist sie nicht bereit, auch nur einen Fuß in die römische U-Bahn zu setzen, solange ihre speziell energetisch gereinigten Schuhsohlen sie nicht vom Aufnehmen der negativen Bodenenergie bewahren … Dafür stellt sie einen unersetzlichen Teil des „Küchenteams“ dar, das jede noch so spartanisch anmutende Rotel-Kost mit einigen kleinen Handgriffen in ein 5-Sterne-Genuß-Menü zu verwandeln vermag.
Alles in allem ist auf einer Reise mit Rotel Tours, dem Rollenden Hotel, also mit den exakt gleichen Zeitgenossen zu rechnen, denen man auch in der Münchner U-Bahn, einer schwäbischen Besenwirtschaft, einem Krankenhaus in Oberfranken oder einem Lufthansa-Flugzeug begegnen könnte … Es lebe die Vielfalt!
Text: anonym
Illustration: Architekt Hartmut Geffke
Genau so sind wir.
So ging es mir auch.
So ist das Rotelleben! Und genau deshalb fahren wir immerwieder gerne mit.
Ein köstlicher Bericht!!Sehr treffend!!
klasse formuliert… und genau deshalb machen Rotelreisen Spaß
Sehr unterhaltsam geschrieben, treffend formuliert !
Und ja, so (und oft noch mehr …) sind (wir) Rotelianer !
Ach herrlich, wie die gesamte Lektüre das tatsächliche Rotelleben widerspiegelt. Ich habe mich köstlich amüsiert, vor allem über den allseits beliebten Koffertag. Bei meiner 1. Reise hieß es alle 3 Tage vom Reiseleiter „es ist Zeit zum Wurschteln“. Vor 6 Jahren kam ich zu Rotel Tours und durfte seitdem an 4 erlebnisreichen Reisen nach Namibia, den USA & Kanada, Frankreich & Bretagne teilnehmen. Die nächste Reise ist gebucht. Ick freu‘ mir!
Alle Rotel Tours Mitarbeiter (im Büro und unterwegs als unschlagbares Reiseteam), bekommen „Daumen hoch“. Weiter so!